Vom Wachstum
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Ich weiss nicht, ob Sie vielleicht den Verein Getränkekarton-Recycling Schweiz kennen.
Der Verein Getränkekarton-Recycling Schweiz ist ein Zusammenschluss der drei grossen Getränkekartonhersteller Tetra Pak, SIG Combiblock sowie der Elopak Trading. Der Verein Getränkekarton-Recycling Schweiz ist also nicht, wie Sie vermuten, eine Bürgerinitative, sondern eine Organisation der Privatwirtschaft; aber die Website des Vereins ist durchaus wie die Website einer NGO aufgemacht, und ganz ähnlich wie eine NGO sind auch die Ziele des Vereins Getränkekarton-Recycling Schweiz – man möchte, heisst es:
Wir möchten die praktische und hygienische Getränkeverpackung nicht nur produzieren, sondern auch die Strukturen für ein effizientes Recycling der Getränkekartons schaffen, das allen Beteiligten nützt. Eine Selbstverständlichkeit in Deutschland, in Österreich und in anderen Ländern – in der Schweiz im Moment erst eine Idee, aber noch keine Realität.
Der Verein Getränkekarton-Recycling hat deshalb eine Petition lanciert, damit in der Schweiz endlich das Getränkekarton-Recycling eingeführt wird; und nicht nur das – der Verein hat auch beim renommierten Gottlieb-Duttweiler-Institut, dem GDI in Rüschlikon, eine Studie in Auftrag gegeben, die dieser Tage unter dem Titel «Vom Abfall zum Rohstoff – die Zukunft des Recyclings» erschienen ist. In dieser Studie analysiert das GDI umfassend, unter welchen Voraussetzungen in der Schweiz (und darüber hinaus) der Weg in eine Kreislaufwirtschaft geebnet werden könnte; eine Kreislaufwirtschaft, so heisst es, sei die alleine zukunftsweisende Perspektive für eine sorgfältige, nachhaltige Bewirtschaftung unserer Ressourcen.
Die Autorin Mirjam Hauser, Senior Researcherin am GDI, schreibt, in der Zusammenfassung:
(Es wird) deutlich, dass der Weg in eine Kreislaufwirtschaft die meisten Lösungsperspektiven bieten kann. Zusammen mit einem aufgeklärten Konsumentenverhalten und Abfallwirtschaftssystemen, die das Recycling von dafür von vornherein optimal designten Produkten einfach machen, liesse sich die nötige Transformation in eine Kreislaufwirtschaft schaffen.
Was ist passiert, dass ein Industriezweig mittels Petition (man möchte diese Petition als im Namen des ganzen Volkes lanciert verstehen) sich einsetzt fürs Recycling, wohin sind wir gekommen, dass eine Industrie sich einsetzt für eine Kreislaufwirtschaft, eine Wirtschaft, in der Rohstoffe in Kreisläufen eingesetzt werden sollen.
Ganz offenbar hat ein Umdenken eingesetzt.
Nicht mehr das lineare Denken steht bei den Produkten im Vordergrund, wenn es ums Design und um die Lebenszyklen von Produkten geht, also nicht mehr die Idee einer optimierten Herstellung, eines optimalen Verbrauchs um dann, am Ende der Lebenszeit einer optimierten Entsorgung zugeführt zu werden; im Gegenteil – das Ende wird bereits bei der Herstellung mitgedacht und die mögliche Abschöpfung als neue Ressource am Ende des Lebenszyklus steht schon ganz am Anfang aller Überlegungen.
Lassen Sie mich anhand von zwei Beispielen aufzeigen, wie man sich das vorstellen kann; und lassen Sie mich in einem dritten Teil erläutern, wie sich das Denken in Kreisen ins Denken einer suffizienten Wirtschaft einbetten liesse.
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Vor einiger Zeit ploppte in meinen Mails eine Mitteilung der ETH Zürich auf, sie betraf eine Reihe von Spin-Offs der ETH Zürich, die eine besondere Förderung durch den Bund erhalten hatten. Viele interessante Projekte, darunter eins, das sofort meine Aufmerksamkeit weckte –
Umweltfreundliches Kohlendioxid-Filtern aus der Luft
Sie könnten eine der grössten Herausforderungen der Menschheit bewältigen: Die beiden ETH-Doktoranden Christoph Gebald und Jan Wurzbacher filtern Kohlendioxid aus der Luft – und das umweltfreundlich und emissionsfrei. Der vielversprechende ETH-Spin-off Climeworks hat auch die Jury des Venture Kick überzeugt und erhält 130'000 Franken.
Ich hatte bereits vor ein paar Jahren fürs MAGAZIN des Tages-Anzeigers eine grosse Reportage geschrieben über die Möglichkeit, CO2 mit grossen Filtern aus der Luft abzusaugen, zu binden und eventuell zu deponieren; illustriert war jene Reportage mit grossen, flügelartigen oder radiatorenartigen Filtern, die draussen in der Landschaft standen, sie sollten CO2 aus der Luft abfiltern. Und natürlich nahm es mich wunder, was denn die beiden jungen ETH-Doktoranden Christoph Gebald und Jan Wurzbacher an revolutionären Technologien entwickelt hatten, dass sie einen solchen Preis erhielten und so viele Vorschusslorbeeren.
Und mich nahm wunder: wie man CO2 recycelt.
Nun:
In einem Labor an der ETH Zürich, das nicht besonders aussah, viele Apparaturen, Röhren, Lichtanlagen, Filter, kleinere und grössere Motoren, traf ich die beiden Forscher. Sie hatten wenig zu zeigen, viele Röhrchen, viele Schläuche, ein geheimnisvoller Filter, ein Motörchen, eher unspektakulär das Ganze. Um so spannender, was die beiden zu erzählen hatten, Christoph Gebald und Jan Wurzbacher, genauer – um so aufregender, ihnen beim Entwickeln ihrer Grundidee zuzuhören.
Den beiden schwebt, wie Sie auf dem Schema sehen können, im Endausbau ein totaler CO2-Zyklus vor, bei dem CO2 aus Verbrennungsprozessen mittels Sonnenenergie aus der Luft herausgefiltert wird, anschliessend wird der Kohlenstoff vom CO2 abgetrennt, immer mit Solarenergie, und zwar, wie die beiden betonen, mit niedrigen Temperaturen das alles; der Sauerstoff wird an die Luft zurückgegeben, der Kohlenstoff dient als Grundlage für die Herstellung synthetischer Treibstoffe wie etwa Methan oder Flugbenzin.
Sie sind keine Träumer, Christoph Gebald und Jan Wurzbacher. Mittlerweile haben sie ihre eigene Firma gegründet, die Climeworks, sie sind daran, den ersten Textlauf für ihre CO2-Luft-Filter-Maschine durchzuführen, und sie denken natürlich daran, die Erfindung, die ihrer Arbeit zugrundeliegt, ein hoch effizienter Filter zur Abtrennung von CO2, gewinnbringend zu vermarkten.
Und sie sind auch nicht allein, die beiden:
Der Autobauer Audi hat ein umfassendes Projekt gestartet, bei dem aus der Luft gewonnenes CO2 sowie mittels Windkraft erzeugter Wasserstoff zu einem künstlichen Erdgas CH4 transformiert wird; ein in sich geschlossener Zyklus entsteht, bei dem das CO2 aus der Verbrennung in Motoren wiederum zu Treibstoffen umgewandelt wird, alles gespiesen mit erneuerbaren Energien, mit Wind und auch mit Sonne. Auch das Münchner Fraunhofer Institut entwickelt ein ähnliches Verfahren – dabei aber geht es darum, die unregelmässig anfallende Energie aus Wind- und Solaranlagen mittels Umwandlung von CO2 plus Wasserstoff in Erdgas zu konvertieren, um die dabei gewonnene Energie im Erdgasnetz zu speichern. CO2 aus der Luft wird dabei zurückgewonnen, dient als Rohstoff für synthetisches Erdgas, das für alle möglichen Zwecke verwendet werden kann, zum Kochen, zum Heizen und auch zum Fahren.
Andere, viele andere arbeiten an ähnlichen Technologien.
3
Wenn es möglich ist, einen so ephemeren, unfassbaren Stoff wie CO2 in einen Kreislauf zu bringen, dann sollte es auch mit anderen Stoffen möglich sein.
Der deutsche Verfahrenstechniker Michael Braungart entwickelte in diesem Zusammenhang ein umfassendes Konzept, bei dem es darum geht:
In diesem Zusammenhang spielt das Cradle to Cradle®-Design-Konzept eine entscheidende Rolle. Es definiert ein System für die Herstellung von Produkten und industriellen Prozessen, das es ermöglicht, Materialien als "Nährstoffe" in geschlossenen Kreisläufen zu halten. Materialien von Produkten, die für biologische Kreisläufe optimiert sind, dienen als biologische Nährstoffe, und können bedenkenlos in die Umwelt gelangen. Materialien von Produkten, die für geschlossene technische Kreisläufe konzipiert sind, dienen als technische Nährstoffe (z.B. Metalle und verschiedene Polymere). Diese Materialien sollen nicht in biologische Kreisläufe geraten.
Alle Produkte, ob Nahrungsmittel oder technische Artefakte, sollen von Anfang an so konstruiert und auch verwendet werden, dass sie in einem geschlossenen Kreislauf gehalten werden können. Nichts soll verloren gehen, nichts von all dem, was verwendet wird, soll die Umwelt schädigen.
Michael Braungart, lange Zeit ein Pionier im Feld des zyklischen Denkens und Handelns, hat sich – kurz zusammengefasst - eine Reihe von Ansätzen aus der Kybernetik zu eigen gemacht, hat sie auf Umweltfragen appliziert und daraus ein kohärentes System von Recycling abgeleitet. Seine Ideen entstanden zu einer Zeit, in der das Wissen um die Notwendigkeit, aber auch um die Möglichkeit neuer Formen von Rezyklierung von Stoffen allmählich ins Bewusstsein auch einer breiteren Öffentlichkeit gelangte – primär aus einer ökologischen Perspektive.
In letzter Zeit aber ist zu dieser ökologischen Sichtweise eine zweite, ebenso wichtige und vielleicht für das «Mind Setting» nicht minder zentrale hinzugetreten: die ökonomische Sicht.
Denn in Zeiten schwindender Rohstoffressourcen, langsam näher rückendem Peak Oil, drängenderem Kampf um seltene Metalle und Erden, knapper werdendem Wasser, schwindender Reserven an Düngemitteln, unter Druck stehender Wälder und Ozeane, in dieser Zeit wird klar, dass nach neuen Möglichkeiten gesucht werden muss, um Rohstoffe in einem geschlossenen Kreislauf zu halten, um sie wiederverwendbar zu machen.
Ein solches Konzept ist das sogenannte «Urban Mining».
4
In der Kehrichtverbrennung Hinwil, ich war da auf Besuch:
Er hebt sorgfältig den Deckel des grossen, metallenen Behälters, leuchtet mit der Taschenlampe hinein. Er lässt den Lichtkegel übers graue, grobe Pulver streichen, ein Lächeln huscht über sein Gesicht, und er sagt:
«Schauen Sie genau hin.»
«Was?»
«Das gelbe Funkeln.»
«Ist das Gold?»
Peter Schellenberg, dunkles, strähniges Haar, buschige Augenbrauen, er hat sein halbes Leben hier gearbeitet, in der Kehrichtverbrennung Zürcher Oberland, der KEZO. Er hat Abfall verbrannt, den Kehricht aus den Haushalten von Wiedikon, Pfäffikon, Uster, Hinwil, hat die Öfen überwacht, die Aufbereitung der Schlacke gesteuert.
Neuerdings arbeitet Peter Schellenberg in einer blitzsauberen Halle, darin steht ein hoher Turm mit vielen Filtern, Gebläsen, Schüttelrosten. Durch die wird die feinkörnig zermahlene Schlacke aus der Abfallverbrennung geblasen, geschüttelt, gefiltert. Ein Turm voller Maschinen mit sensiblen Sensoren, computergesteuerten Rollbändern, die alles, was metallisch ist in dieser Schlacke, absondern, filtern.
Abfall ist eine Mine.
Man holt aus dem Abfall der Region «pro Kubikmeter genau so viel Gold heraus wie aus einer guten Goldmine in Südafrika», sagt Daniel Böni, Betriebsleiter der KEZO. Er lässt seinen Blick über die Anlage schweifen, angegrautes Haar, aber sehr junger Blick, und berichtet, die Anlage fördere Gold im zweistelligen Kilobereich aus dem Abfall. Aber nicht nur Gold, das in vielen weggeworfenen elektronischen Geräten enthalten ist, holen Daniel Böni und seine Mitarbeiter aus der Schlacke hervor. Der Kupfergehalt beispielsweise, er ist in der Feinschlacke so hoch wie im Erz einer Mine. Nur fördert man das Metall in Hinwil ohne die grossen Schäden an der Umwelt und an der Landschaft.
Am Ende des Prozesses, in der blitzsauberen Halle, stehen riesige Säcke mit Aluminium, kupferhaltiges, goldhaltiges Restgranulat. Insgesamt 4000 Tonnen Metall pro Jahr, die heute noch zu einem grossen Teil im Ausland zu reinen Metallen aufbereitet werden.
Bei der verwendeten Technologie, dem sogenannten «Thermorecyling», wird die Schlacke aus der Abfallverbrennung mit hohen Temperaturen abermals verbrannt, in der sogenannten Feinschlacke verklumpen die Metalle. Das Verfahren wurde in der KEZO selber entwickelt, im angelagerten «Zentrum für nachhaltigen Abfall- und Ressourcennutzung», dem ZAR. Man habe das Ganze «nicht in einer Pilotanlage entwickelt», betont Daniel Böni, «sondern gleich in einem Industriemasstab, also eins zu eins».
Der hohe Turm mit den Filtern, den Gebläsen, den Schleudern wird heute von Abfallexperten aus der ganzen Welt besucht. Sie haben die erkannt, dass es keinen Sinn hat, wertvolle Metalle in der Brandschlacke irgendwo auf Deponien zu entsorgen; und Daniel Böni ist schon ein wenig stolz, wenn er sagt, dass «das Potential dieser Technologie riesig ist», durchaus auch in finanzieller Hinsicht. Man verkauft die Tonne Aluminium heute zu rund 1200 Franken, auch das Gold ist bei einem Kilopreis von etwa fünfzigtausend Franken «ein durchaus lukratives Geschäft», sagt Daniel Böni.
Die Zahlen sprechen für sich.
Pro Sekunde wird in der Schweiz 174 Kilo Abfall produziert, jährlich fallen zwei Millionen Tonnen Abbruchmaterial allein im Kanton Zürich an, gesamtschweizerisch werden pro Jahr rund 52'000 Tonnen Eisenmetalle entsorgt. Man recyliert vieles schon heute, Pet und Alu wird getrennt, man verarbeitet Karton und Papier, aus der Grünabfuhr entsteht Biogas. Aber das ist einer, der hat erkannt, dass es noch mehr gibt, das verwertet werden kann, dass die Stadt, dass die Agglomeration einen grossen, ungenutzten Fundus an Rohstoffen besitzt: Franz Adam, Leiter der Abfallwirtschaft bei der Baudirektion des Kantons Zürich.
Er hat das Projekt «Urban Mining» initiiert. Ein kantonaler Beamter mit Charme, er ist einer, der stets gute Laune versprüht. Franz Adam er empfängt im Besprechungszimmer seines Amtes, auf dem Tisch stehen Einmachgläser, in denen Pulver und Granulate liegen.Franz Adam hantiert mit zerriebenem Altbeton, mit kitzekleinen Metallstücken aus der Kehrichtschlacke, mit aus der Klärschlammasche zurückgewonnenem Phosphor-Pulver und erklärt, dass man sich alles als einen Kreislauf denken muss.
«Dinge wegzuwerfen, zu entsorgen hat eine tiefenpsychologische Komponente. Das zeigt sich daran, dass wir nach wie vor einen Hang haben, alles, was mit dem Abfall zusammenhängt, zu verdrängen, wegzudenken.»
«Und was wäre der richtige Weg?»
«Wir müssen einsehen, dass alles, was uns umgibt, fast alle Materialien, eines Tages als Abfall anfallen, und dass sie alle Rohstoffe sind, nutzbare Rohstoffe. Ich brauche dazu oft das Bild eines Jungbrunnens, denn mit diesem Bild wird deutlich, was ich meine, dass aus alt jung werden soll.»
Franz Adam hat mit seinen Mitarbeitern und vielen Partnern aus der Wirtschaft für den Kanton Zürich ein Konzept erarbeitet, bei dem Abfälle grundsätzlich als Ressourcen betrachtet werden. «Wenn wir unseren Abfällen die richtige Wertschätzung entgegenbringen, stellen wir fest, dass wir ein rohstoffreiches Land sind», sagt er. Gemeint sind die Computergehäuse ebenso wie das Altpapier, die alten Kupferkabel genau so wie das abgebrochene Mauerwerk von alten Häusern. Nichts soll verloren gehen, denn man will, so heisst es im kantonalen Massnahmenplan zum «Urban Mining», letztlich alle Energie und alle Rohstoffe «vollständig aus den Abfällen herausholen und sie der Volkswirtschaft wieder zur Verfügung stellen».
Franz Adam hat es mit seinem Konzept geschafft, die Unternehmen für eine andere Denkweise zu gewinnen.
Jakob Richi, Transportunternehmer in Weiningen, zum Beispiel, blondgraues, weisses Haar, ein offenes, weisses Hemd und um den Hals eine Goldkette. Jakob Richi sagt, er habe «schon etwas Zeit gebraucht für das Umdenken».
Er erzählt, er habe in früheren Jahren das Altholz von Abbruchhäusern bis nach Norditalien fahren lassen, Abbruchgut und Aushub habe er kreuz und quer durch die Schweiz transportiert, dazu Kies aus der familieneigenen Kiesgrube gefördert, Jahr für Jahr ein wenig mehr. Jakob Richi erzählt, er habe immer ohne die Umweltkosten gerechnet, doch dann kam die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe von Bundesrat Moritz Leuenberger. Da endlich hat Jakob Richi zu rechnen begonnen, hat errechnet, was ihn jeder Kilometer kosten wird, und sei «erschütternd» gewesen, sagt er.
Langsam schüttelt er den Kopf und erzählt, und dass er aufgeben wollte, «sein Geschäft verkaufen».
«Und dann?»
«Dann bin ich eines Tages mit meinem Hund spazieren gegangen, habe überlegt. Und dann habe die Herausforderung angenommen, weil ich es wissen wollte».
Heute geht Jakob Richi mit grossen Schritten über das weitläufige Areal, eine Zigarette im Mund, linker Hand braust die Autobahn. Seine Lastwagen würden jetzt nur noch fünfzehn Kilometer weit fahren oder dreissig, statt sechshundert wie früher, «und beide Wege beladen». Jakob Richi stapft eine breite Rampe hinauf und zeigt das Biomassekraftwerk, das angeliefertes Abbruchholz in Strom für sechstausend Haushalte verwandelt, und in Wärme für ein nahe gelegenes, riesiges Gewächshaus. Jakob Richi zündet sich eine Zigarette an und eilt vorbei an riesigen Schutthalden, an Bergen von Abbruchmaterial, direkt auf eine brandneue, blau schimmernde Anlage zu.
Hier wird Abbruchgut zu neuem Kies und neuem Beton umgewandelt, und die Anlage Jakob Richis ganzer Stolz.
Die Anlage ist komplex, sie zerkleinert das angelieferte Abbruchgut, all die abgebrochenen Wände, Decken, Fundamente, Treppenhäuser. Sie trennt Kieselsteine aus dem alten Gemäuer, zerkrümelt Backsteine, sortiert das Ganze und mischt es wieder neu zusammen.
Heraus kommt «Recyclingbeton», ein Beton aus abgebrochener Bausubstanz, der aber nicht weniger fest sei als der normale, sagt Jakob Richi. Er werde denn auch «zunehmend nachgefragt, gerade auch bei umweltbewussten Bauherren». Denn Beton aus rezyklierten Baumaterialien sei nicht nur ein Beitrag zum sinnvollen Umgang mit Ressourcen, er schone auch die natürlichen Kiesvorkommen.
«Ein gutes Gefühl?»
«Ja, aber mehr noch. Denn ich sage, im Grün liegt auch viel gutes Geld.»
Um das geht es auch Franz Adam.
Denn der Abteilungsleiter Abfallwesen bei der Baudirektion des Kantons Zürich hat die Unternehmer vom Thema «Urban Mining» nicht deshalb überzeugt, weil er an ihren Idealismus appellierte, sondern an ihren Geschäftssinn. «Urban Mining» soll sich lohnen, und zwar für alle. Und es kommt Franz Adams Argumentation entgegen, dass der Kanton Zürich eine Reihe von fortschrittlichen Bestimmungen im Bereich der Energie- und Abfallwirtschaft erlassen hat, die eigenverantwortliches, nachhaltiges Wirtschaften belohnen.
Seine Überzeugung lautet:
«Wir müssen mit den Rohstoffen so umgehen, dass es auch für kommende Generationen noch reicht.»
«Also Ressourcen ersetzen.»
«Richtig, denn in unseren Städten und in der Agglomeration hat es genügend Material, und auf das können wir zurückgreifen.»
Die Entsorger von heute sind die Rohstoffhändler von morgen.
Das hat man auch in Hinwil erkannt, in der Kehrichtverbrennung, der KEZO. Man will das Geschäft mit den Rohstoffen nicht mehr ausländischen Firmen überlassen, man möchte vielmehr, sagt Daniel Böni, der Geschäftsleiter der KEZO, «die Metalle, die wir aus der Schlacke herausholen, auch selber aufarbeiten und verkaufen».
Und so ist in unmittelbarer Nähe zur Verbrennungsanlage eine neue Anlage geplant, in der künftig alle Metalle, die man heute aus der Schlacke herausholt, aufgearbeitet und als reine Rohstoffe verkauft werden sollen. Eine grossangelegte Metallschmelze, finanziert und getragen von verschiedenen Partnern im Kanton und ausserhalb, eine Anlage, die fertiges Aluminium, Kupfer, Silberbarren, Goldbarren und Eisenmetalle in verschiedenen Qualitäten liefern soll.
Es wird in dieser Metallschmelze durchaus eine Sicherheitszone geben, in der Goldbarren aufbewahrt werden, und auch Silberbarren.
Baubeginn ist, wenn alles rund läuft, 2013.
5
Das Recyclen von CO2, das Prinzip «Cradle to Cradle», das «Urban Mining» - das alles läuft auf eine radikale Infragestellung unseres Umgangs mit Ressourcen, mit Stoffen, mit Produkten insgesamt hinaus.
Nicht mehr um Verbrauch geht es, sondern um Wiedergebrauch.
Denn wir können noch so effizient sein etwa bei der Nutzung von erdölbasierten Produkten, wir können noch so sehr die besten technischen Lösungen einsetzen bei der Produktion unserer alltäglichen Güter, unserer Toaster, unserer Handies, unserer Schuhe und so weiter – am Ende werden wir merken (und wir sind daran, es zu merken), dass es nicht geht mit dem Immer Mehr, dass wir mit dem auskommen müssen, was vorliegt, genauer: dass wir möglicherweise mit dem, was uns zur Verfügung steht an Ressourcen, an Stoffen, auskommen müssen, dass es nicht mehr werden kann, schlicht, weil diese Erde nicht mehr hergibt.
Damit sind wir beim Gedanken angelangt, dass wir in Zukunft nicht mehr nur effizient mit Energie und Ressourcen umgehen müssen, dass wir nicht nur bei allem, was wir tun, die besten verfügbaren Technologien einsetzen sollten; sondern dass wir uns auf das beschränken sollten, was innerhalb des Bestehenden an «Rohstoffen» zur Verfügung steht.
Konkret:
Es braucht zum einen eine klare Strategie der Konsistenz – Konsistenz verstanden als, in der Definition von Manfred Linz:
Industrielle Stoffwechselprozesse dürfen die natürlichen nicht stören. Beide sollen einander möglichst ergänzen oder gar verstärken. Sofern das nicht möglich ist, sollen Natur schädigende Stoffe störsicher in einem eigenen tchnischen Umlauf geführt oder – wenn das nicht gelingt – ausgemustert werden. Im übrigen gilt: In intelligenten Systemen gibt es keine Abfälle, nur Produkte.
Aber Konsistenz an sich beleuchtet nur die technische Seite dessen, was wir als Kreislaufwirtschaft bezeichnen würden.
Damit diese Kreislaufwirtschaft überhaupt in die Gänge kommt, damit sie nicht eine Illusion bleibt, insbesondere aber auch: damit sie nicht dazu führt, dass wir in dieser Kreislaufwirtschaft mit hohem Energieinput und letztlich auch Materialverbrauch in einer Wachstumslogik verharren, braucht es eine Lebenshaltung, die darauf abzielt, sich mit weniger zu begnügen als bisher.
Mit anderen Worten:
Wir brauchen in Zukunft nicht nur effiziente Technologien, wir brauchen nicht nur konsistente Kreisläufe von Stoffen und Ressourcen, wir brauchen auch eine suffiziente Lebenshaltung. Die Suffizienz hinterfragt das Wachstum in seiner inneren Logik des immer Mehr und sie gibt dem Konzept der Nachhaltigkeit die innere Schärfung zurück, die es erlaubt, die Frage nach der Verteilung von natürlichen Ressourcen, nach dem Zugang zu Wohlstand und nach der Lebensqualität neu zu stellen.
Aber was ist mit Suffizienz überhaupt gemeint.
Auf der individuellen Ebene ist Suffizienz zunächst einmal ein allgemeiner Appell, ein Wort, das auf das schlechte Gewissen ziehlt, ein moralbehafteter Begriff, der darauf verweist, dass man die individuellen Entscheidungen des Einzelnen, seine Konsum- und Reisegewohnheiten radikal hinterfragen soll und mit einem mahnenden Zeigefinger sagen darf, nunc satis est, nun ist genug. Das führt, bleibt man auf dieser individuellen Ebene des Appells, insgesamt zu einem Problem, wenn man zum Verzicht aufruft, und der Verzichtende kriegt nichts dafür, ausser vielleicht für sich selber ein gutes Gefühlt – auf die Dauer aber genügt das nicht, es gibt keine gute Stimmung.
Besser ist es, die Frage «nach dem, was genug ist, nach dem, was gut tut, nach dem Ausgleich der Chancen und mit all dem nach einem gelingenden Leben», wie das Manfred Linz formuliert, als eine gesellschaftliche Fragestellung zu fassen. Auch hier können wir, wie wir es schon mehrfach gesehen und erlebt haben, auf Appelle vertrauen – ich erinnere hier an so prägende Aktionen wie die Demonstration des energiesparenden Eierkochens durch Bundesrat Adolf Ogi, eine Aktion, die vielleicht deshalb so sehr in Erinnerung bleiben wird, weil hier die Naivität des Vorgehens sich seltsam paart mit der Grandiosität des Anliegens. Aber wenn Suffizienz die Frage nach der notwendigen Begrenzung, nach dem richtigen Mass, nach den Grenzen des Notwendigen, nach dem, was einem zusteht, und zwar, möchte ich betonend ergänzen, für alle stellt, dann müssen wir den Bereich der Appelle und der Freiwilligkeit verlassen und betreten den Bereich der Normen.
Normative Ansätze dafür, dass wir weg kommen von einer verschwenderischen, linearen, «from craddle to dump»- Wirtschaft hin zu einer Kreislaufwirtschaft, zu einer suffizienten, nicht nur auf das Wachstum schielenden Gesellschaft, solcha Ansätze gibt es einige, auch wenn sie nicht explizit unter dem Titel der Suffizienz daherkommen.
à die 2000-Watt-Gesellschaft ist die vielleicht älteste und bis heute auch nachhaltig wirksamste Konzeption von suffizientem Wirtschaften. Die Grenze von 2000 Watt wird als klimaverträgliches Limit definiert und impliziert eine ganze Reihe von effizienten und konsistenten, aber auch von suffizienten Massnahmen, indem ausdrücklich auch an Verhaltensänderungen appelliert wird; neuerdings verlangt die Gruppierung «Neustart Schweiz» eine noch radikalere Senkung auf 1000 Watt;
à die 1-Tonnen-CO2-Gesellschaft ist eine neuere, aber auf das gleiche Ziel hinführende suffiziente Strategie, die darauf abzielt, dass der heutige Ausstoss von rund 11 Tonnen CO2, die jeder Bewohner und jede Bewohnerin in der Schweiz verpufft, auf eine Tonne gesenkt werden. Ein radikaler, einschneidender Senkungspfad, bei dem primär auf den effizienten Einsatz neuer, erneuerbarer Energieträger gesetzt wird, der aber ohne drastische Verhaltensänderungen nicht zu erreichen sein wird;
Diese Ansätze, Sie wissen es, werden in der Zwischenzeit nicht nur von einigen Gemeinden in der Schweiz, ich nenne hier als Beispiel Basel oder Zürich, zur Maxime der Energie- und Ressourcenpolitik gemacht; diese Ansätze werden auch von vielgestaltigen Bewegungen ins Zentrum ihrer Anliegen gestellt, etwa von der décroissance-Bewegung, die vor allem in Frankreich ihre Anhänger findet und die von charismatischen Persönlichkeiten wie Serge Latouche angeführt wird, oder, um in der Schweiz zu bleiben, der Verein Neustart Schweiz.
Suffizienz ist Begrenzung für alle.
Das gilt, ob vom Energieverbrauch her gedacht, von der Klimabelastung her gesehen, als Problem der Verteilungsgerechtigkeit oder als allgemeine Wachstumsbegrenzung betrachtet – immer geht es um eine allgemeine Strategie der Begrenzung. Begrenzung nach oben, Festlegung von Limiten, und zwar von einer Perspektive her, die sowohl für Ökonomen wie auch für Nichtökonomen eine neue ist: die Perspektive der Gemeinsamkeit und der Endlichkeit von Ressourcen, die Einsicht in die Allgemeinverfügbarkeit dieser Ressourcen und in die Frage nach ihrer Verteilung. Suffizienz also bedeutet Reden über die Einsicht, dass wir alle mit dem Verfügbaren irgendwie auskommen müssen, mit dem begrenzten Vorrat an Luft, an Wasser, an Erdöl, an Erzen, an seltenen Metallen, an Böden, an Wäldern.
Lange Zeit haben uns die Ökonomen weisgemacht, dass diese Güter, und darunter vor allem die allgemein verfügbaren wie Wasser und Luft, also auch die am meisten gefährdeten, dass diese in einer Logik der totalen Ausbeutung so lange genutzt werden, bis die Ressourcen ausgeschöpft, am Ende sind; sinnhaftestes Beispiel für diese Tragik ist die Überfischung der Meere, die Übernutzung von Wasserressourcen, die Übernutzung der Athmosphäre und auch der Meere als CO2-Speicher. Man bezeichnete diesen Vorgang (und man tut das heute noch) als die «Tragik der Allmende».
Doch es ist das Verdienst von Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom, in ihrem bahnbrechenden Buch The governing of the Commons aufgezeigt zu haben, dass die Nutzung allgemein verfügbarer Güter nicht zwangsläufig zu einer Tragik führen muss, im Gegenteil; aufgrund ihrer Untersuchungen unter anderem der Alpgenossenschaften in der Schweiz und der gemeinschaftlichen Wassernutzung in Spanien hat sie dargelegt, dass gemeinschaftliche Güter dann erfolgreich und auch nachhaltig genutzt werden, wenn klar (unter anderem) definierte Grenzen gesetzt werden, die entsprechenden Regeln den lokalen Bedingungen angepasst sind, die Überwachung der Einhaltung geregelt und abgestufte Sanktionsmöglichkeiten bei Regelverstößen vorgesehen sind.
Dieser Gedanke ist für das Thema Suffizienz von zentraler Bedeutung, denn Elinor Ostrom verweist auf zwei zentrale Elemente, die für einen allgemein akzeptierten, geregelten Umgang mit beschränkten Ressourcen weiterführend sind, nämlich erstens, dass es nicht auf freiwilliger, individueller Basis geht, sondern nur mit klaren allgemeingültigen Normen für alle; und zweitens müssen diese Normen sanktionierbar sein, will heissen – wer sich daran hält, wird belohnt, wer sich nicht daran hält, wird bestraft.
Um diese Frage geht es im Kern bei den Klimaverhandlungen den ganze Zeit, um diese Frage geht es bei der nationalen CO2-Gesetzgebung, diese Frage wird bei der Debatte um eine ökologische Steuerreform verhandelt, darum geht es letztlich auch bei dem Handel mit CO2-Zertifikaten und beim ökologischen Ranking von Unternehmen – immer geht es um das Setzen eines Limits und darum, diejenigen zu sanktionieren, die über der Norm sind. Insofern hat Suffizienz nichts mit einer wie auch immer gearteten Condition humaine zu tun, wie Manfred Linz beklagt, weil es eben «den ökologisch und sozial verantwortlichen Lebensstil nicht geben» wird, und Suffizenz hat auch nichts zu tun mit Verzicht, wie die Grüne Partei der Schweiz in ihrem Positionspapier festhält. Vielmehr hat Suffizienz zu tun mit Grenzsetzung und mit der Belohnung derjenigen, die sich an die Regeln halten, und mit der Sanktionierung der anderen, die sich drum foutieren; immer vorausgesetzt, diese Regeln sind allgemein akzeptiert, wirksam und den Zielen angemessen.
6
Wenn wir nun zurückkehren zu einem unserer Beispiele zu Beginn, zum Kreislauf des CO2, so können wir uns nach diesen Überlegungen fragen, wie denn eine konsequente Politik der Begrenzung, der Suffizienz einer solchen Kreislaufwirtschaft dienlich sein könnte.
Einmal in einem Spiel gedacht:
Setzen wir den Fall, dass die Schweiz sich darauf einigen könnte, den CO2-Ausstoss pro Kopf progressiv über die Jahre fortlaufend auf eine Tonne zu limitieren, und dass für jede Tonne mehr ein Preis X zu bezahlen wäre, dann würden die meisten zunächst zu gemässigten, aber doch progressiven, irgendeinmal, wenn sie nichts unternehmen, dann zu massiven Nettozahlern.
Angenommen weiter, man hätte sich beispielsweise darauf geeinigt, dass die erhobenen Abgaben zur Hälfte in die Entwicklung neuer Technologien investiert, zur anderen Hälfte gleichermassen an die Bevölkerung zurückerstattet würden, dann hätten wir einen doppelten Effekt; nämlich erstens würden diejenigen, die eh wenig CO2 emittieren, und das sind vor allem die ärmeren Schichten, zu Nettoempfängern, und zu Nettoempfängern werden auch diejenigen, die sich bewusst und freiwillig für einen angepassten, energetisch sparsamen, nachhaltigen Lebensstil entscheiden, während die CO2-Sünder sich aus reinem Eigeninteresse fortlaufend darum bemühten, ihre CO2-Bilanz zu verbessern, und zweitens würde durch diese CO2-Abgabe ein technischer Innovationsschub ausgelöst, zum Beispiel bei der Filterung von CO2 aus der Luft.
Spielen wir diesen Gedanken auf der globalen Ebene durch, so ermöglichte sie all denjenigen Ländern, deren Bevölkerung heute pro Kopf weit weniger CO2 emittiert als bisher, technologisch und wirtschaftlich aufzuholen, eine Zeit lang durchaus auch mit einem gesteigerten CO2-Ausstoss.
7
Doch:
Wie kommen wir zu einer Praxis der Suffizienz, zur freiwilligen Annahme von Normen, die einer Verschwendung der Ressourcen entgegenwirken?
Zum einen sollten wir nicht ausser Acht lassen, und damit kehre ich wieder zum Verein Getränkekarton-Recycling Schweiz zurück, dass in der Gesellschaft eine Reihe von Vorstellungen unterwegs sind, «wie es sein sollte». Nennen wir diese Vorstellungen «Radikale Imaginationen» im Sinne von Cornelis Castoriadis, oder nennen wir sie einfach «pertinente Narrationen», also um eingängige Geschichten; an diese Narrative muss angeknüpft werden, wenn der Versuch gelingen soll, zumindest gute Gründe für den Gedanken und die Praxis der Suffizienz und des Denkens in Kreisläufen zu finden.
Bereits heute sind solche Geschichten im Umlauf – ich denke an die Lessness-Bewegung, an diejenigen Menschen, die sich bewusst dafür entschieden haben, mit weniger auszukommen; die Age of Less, so beschwört es der Direktor des Gottlieb Duttweiler Institutes, Alain Egli, habe bereits begonnen. Aber ich denke auch an die vielen Gemeinden in der Schweiz und in Europa, die sich unter dem Label Energieregionen zu eigenständiger Produktion von grüner Energie aufgemacht haben, mit tatkräftiger Unterstützung ihrer Bürgerinnen und Bürger. Man sollte mehr erzählen von den Menschen, die sich um die Wohnungen reissen, die kürzlich in der Nähe von Zürich gebaut wurden, und bei denen der Nichtbesitz eines Autos Voraussetzung für die Miete ist; man sollte mehr reden von denjenigen, die den CO2-Ausstoss ihrer Flüge, ihrer Autofahrten bereits heute freiwillig und ohne zu murren kompensieren, man sollte reden über die Mitglieder von Mobility, über die Genossenschaftler von Solarfirmen, über die Mitglieder von Bürgerforen zum Thema Energiesparen, man denke an Quartiersvereine, die sich gebildet haben, um die Nachhaltigkeit in ihrem Quartier zu fördern; und über diejenigen, die sich an Tauschbörsen beteiligen, an Homesales, an Nachbarschaftsnetzen, die in allen europäischen Gemeinden und Quartieren aus dem Kraut schiessen.
Hier geht es um Werte, schreibt Die Zeit in ihrer Ausgabe vom 12. April 2012, die Menschen dazu bringen, «sich nach immateriellen Gütern umzuschauen, auf die mehr Verlass wäre als auf das flüchtige Geld». Hier geht es um Menschen, die aus einem ganz bestimmten Bedürfnis heraus eine andere Erfahrung machen möchten, die Erfahrung nämlich, «Politikformen zu suchen, die Wohlstand, Lebensqualität und das Gedeihen von Menschen neu zusammensetzen».
Doch damit, wir ahnen es, kann es nicht getan sein.
Denn es geht darum, letztlich, allgemeingültige Normen zu formulieren, mit denen Wohlstand, Lebensqualität und das Gedeihen aller Menschen im Rahmen der Suffizienz zu haben ist; denn nur wenn wir Fragen nach der Begrenzung der Nutzung in unsere wirtschaftlichen Berechungen mit einbeziehen, wenn wir einsehen, dass wir uns in sehr vielem eben im Bereich der Commons bewegen, der Allmende, wenn wir einsehen, dass für die Regulierung Normen notwendig sind, erst dann wird sich die Suffizienz und, notabene, auch die Nachhaltigkeit als gesellschaftliches Projekt durchsetzen.
Mit anderen Worten – es braucht, über das, was ich oben als «radikale Imaginationen» bezeichnet habe und auch über die Praxis dieser Imaginationen hinaus, so etwas wie einen neuen Gesellschaftsvertrag, einen Contrat Social der Suffizienz, der die Grundlage legt für eine neue Politik. Fragen Sie mich nicht, wie dieser Contrat Social der Suffizienz zustande kommen soll – nicht unbedingt dadurch, dass sich all die Akteure, die auf diesem Feld tätig sind, sich zu einer Charta, zu einer Déclaration, zu einem Appell zusammenschliessen; viel eher so, wie wir es zur Zeit in der Energiewende beobachten – dass sich Bürgerinnen und Bürger über die Medien, über Facebook, über Twitter und über Leserbriefe in den Zeitungen und Blogs in hoher dichte über eine fundamentale, und, wie Umfragen zeigen, auch unverrückbare Überzeugung verständigen: dass man sich verabschieden will vom Atomstrom und von den fossilen Energieträgern zur Herstellung von Strom.
Diese Überzeugung ist, wie wir wissen, nicht ohne einen Schock von aussen – in diesem Fall: Fukushima – zustande gekommen. Beim Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft oder zu einer Gesellschaft der Suffizienz werden wir uns einen solchen Schock, nach meinem Dafürhalten, nicht leisten können; denn möglicherweise ist es dann zu spät.
Man ist nicht realistisch, indem man keine Idee hat, sagte Max Frisch.
Referat an der Hochschule Luzern Design & Kunst
14. November 2012
Christoph Keller